Warum ausgerechnet Radfahren?


Man fährt Rad, um von einem Punkt A zum Punkt B zu kommen, man fährt auch Rad, um Spaß zu haben, um in Ruhe und Ausführlichkeit eine Urlaubsregion zu entdecken und sich im Anschluss einen Eisbecher zu gönnen.

Rad fahren bedeutet für mich persönlich einen guten Ausgleich zur Hektik unserer Tage, vorausgesetzt, man betreibt das maßvoll. Rad fahren ist ein ausgezeichnetes Mittel, nach einem anstrengenden, manchmal sehr unangenehmen Arbeitstag den Kopf gründlich durchzublasen.
Ähnlich wie bei anderen Sportarten reduzieren sich die Gedanken dabei auf die augenblickliche Gegenwart.

"Ich denke an das, was ich sehe." - so das Zitat in Olaf Hilgers’ Bericht über den Sachsen-1000er-Brevet.
Wie wahr...
In kürzester Zeit fällt alles, was Einen noch kurz zuvor bedrückt und genervt hat, beim gleichmäßigen Kurbeln ab. Das Denken reduziert sich auf die Schaumkronen auf dem See, den rotglühenden Streifen des Sonnenuntergangs im Westen oder die drohend aufziehende Gewitterwolke, der man entkommen will, oder eben auch auf die Druckstelle am Hintern, die sich seit Minuten bemerkbar macht. Und die Vorfreude gilt den nächsten Kilometern mit Rückenwind...

Dann kommt man (meist rechtzeitig) nach Hause, hat tatsächlich wieder gute Laune und ist gern bereit, die restlichen Dinge des Tages noch ganz "gechillt" zu erledigen.
Man hat ja die Gewissheit, am nächsten Tag nach Feierabend wieder seine Runde fahren zu können, egal, ob die Sonne scheint, ob es regnet oder stürmt... Das ist ja gerade der besondere Kick - bei schönem Wetter kann schließlich jeder.
Irgendwann ist es dann auch egal, ob man 30, 50, 100 Kilometer oder weiter fährt, man selbst ist überrascht, wie einfach sich plötzlich auch 100 Kilometer anfühlen können.
Das Ganze entwickelt, insofern man die Möglichkeiten zum permanenten Fahren hat und nutzt, eine Eigendynamik. Ist man über den entscheidenden Punkt hinaus, dann ist es nicht mehr der Kampf gegen den eigenen Schweinehund und mit Überwindung verbunden, sondern dann dreht sich das um, man braucht es plötzlich.
Und wenn sich die Fitness noch ein wenig verbessert, dann erhöht sich der Spaßfaktor weiter.


Was treibt einen Menschen dazu, mehr als 200 Kilometer am Stück Rad zu fahren?

Wie kann man sich so etwas Unsinniges antun?
Warum steigen Menschen auf Berge, riskieren auf schroffen hohen Gipfeln ihr Leben? Wieso laufen Menschen einen Marathon?
Ist es eine Flucht? Eine Flucht vor der Alltäglichkeit, der Langeweile, dem Älterwerden?
Schwer zu sagen...


Langstreckenradfahren kann jedoch zu einer Art Sucht werden - einer Sucht nach dem Gefühl, was man einerseits während des Fahrens erlebt und andererseits dem Wiedererlebenwollen des inneren Triumphs über das eigene Zögern, die Selbstzweifel oder die Einwände und den Unglauben der Anderen, wenn wieder einmal eine Tour erfolgreich absolviert ist.
Kaum ist die vergangene Saison mit den langen Fahrten vorbei, kaum ist die Erinnerung an den Dauerregen, die kalten Füße, den wunden Hintern oder den Frust beim Kurbeln gegen den permanenten Gegenwind verblasst, da kreisen die Gedanken im Kopf bereits um die kommenden Vorhaben.
Denn - eigentlich war es doch beim letzten Mal gar nicht so schlimm.
On the road again - das ist keine Phrase, das drückt ein besonderes Gefühl aus.

Der erste Lichtschimmer am Horizont nach langen Nachtstunden auf dem Rad, und dann die unglaubliche Faszination, am frühen Morgen in die aufgehende Sonne hinein zu fahren...
Diese plötzliche Euphorie, die weggewischte Müdigkeit. Und im Ohr das Surren der Reifen auf dem Asphalt, das leise Rauschen des Windes...
Herrlich ist das entspannte Dahinrollen, das lockere und runde Kurbeln.
Vor wenigen Jahren war es unvorstellbar, mittlerweile empfinde ich es als normal - der enorme Radius, den man zur Verfügung hat, wenn man eine Tour über 200, 300 oder mehr Kilometern plant. Dieses Durchqueren von Landschaften aus eigener Kraft und buchstäbliche Erfahren am eigenen Leib und das nicht mal rasch im Auto oder der Eisenbahn, sondern ganz gemächlich im persönlich als gut und angenehm empfundenen und lange durchzuhaltenden Tempo auf dem Fahrrad macht süchtig nach mehr.
Und das wirkt sich entsprechend verlockend auf die Planung der kommenden Ziele aus...
Langstreckenradfahren ist kein Wettrennen. Es ist kein Kampf um Zeiten und Geschwindigkeiten, bei dem man seinem Körper etwas abverlangt, was dem nicht gut tut. Es geht ausschließlich ums Fahren, um das tolle Gefühl dabei, um das Durchhalten und Ankommen.
Wenn die Bedingungen nicht so sind, na und?
Dann passt man sich eben an, fährt langsamer, schiebt noch eine Pause ein und kommt trotzdem ans Ziel. Und welch positive Wirkung für das Ego, wenn man auf dem Rad eine Strecke absolviert hat, die „vernünftige“ Menschen maximal im Auto zurück legen.

 

Und schließlich ist die Verlockung groß, immer mal wieder einen Versuch zu wagen, im nächsten Jahr in neue Regionen vorzustoßen, um dann zu sehen, was persönlich noch so geht...