Sonntag, 16.07.2006


 Mein Wecker klingelt 3/4 6. Ich habe heute die längste Etappe geplant, da will ich schon früh aufbrechen, um auch die etwas kühleren Morgentemperaturen zu nutzen. Zusammengepackt ist schnell, ich frühstücke, Brot, Salami, Käse... Sogar einen Capuccino braue ich mir auf dem Spiritusbrenner.
7.25 ist Abfahrt, ich mache noch ein paar Fotos vom See, dann befinde ich mich zunächst wieder auf der Aare-Route. Meine Stimmung ist nach gut durchgeschlafener Nacht heute wesentlich besser, wieder herrscht Rückenwind, ich könnte fast Bäume ausreißen. 7.50 Uhr erreiche ich nach einigen Kilometern den Abzweig, hier fließt die Aare in den Bieler See, dem Fluss folge ich jetzt noch ein Stück auf dem Damm, bis ich die ausgeschilderte Route nach Murten nehme.
Vom See hinauf geht es recht straff, oben ist wieder eine weite Ebene mit Sonnenblumen, Mais- und anderen Getreidefeldern.
Allmählich sehe ich auch den Schweizer Jura, den Grand Chasseral (ca. 1600 m) mit seinem Turm im Dunst verschwinden. Abschied vom der Aare, Abschied vom Jura. Es geht in Richtung Genfer See und Alpen. Kurz vor 9 Uhr erreiche ich nach 30 Kilometern schon Murten, eine schöne alte Stadt, dann fahre ich in den französischsprachigen Teil der Schweiz. Ich folge dem Tal der Bruye, einem sanften Tal mit bewaldeten Mittelgebirgshöhen zu beiden Seiten. Payerne (54,5 km), sehr französisch, sonntägliche Atmosphäre, Männer in Straßencafes... Die Gegend ist hier sehr ländlich, still, es gibt zahlreiche Brunnen am Weg, an denen ich meine Wasserflaschen auffüllen und sehr viel trinken kann.
Moudon (77,9 km), eine kleine Ortschaft. Das flache Tal endet hier. Nun geht es bergauf, ich muss den Bergkamm überqueren, welcher diese Landschaft vom Genfer See trennt. Und wirklich geht es nun auf kurvenreicher Straße heftig aufwärts. Aber es geht. Das ist für mich das Überraschendste, dass es so gut geht. Kontinuierlich, mit kleinem Gang rolle ich aufwärts. von 450 Meter auf 789 Meter, Oron la Ville, Palesieux, Bossonens, Attalens, der höchste Punkt. Im Hitzeflimmern sind im Osten die Ausläufer der Alpen zu erkennen. Und dann, als ich bergab sause, öffnet sich plötzlich hinter einer Kurve die scheinbar unermesslich weite Fläche des Genfer Sees unter mir.
Weinhänge, so weit das Auge blicken kann, drüben entfernt und kaum sichtbar die Bergmassive der französischen Seite, irgendwo dahinter der Mont Blanc. Und dann Schussfahrt nach Vevey hinab, von fast 800 Meter auf 350 Meter an das Seeufer. Am Yachthafen mache ich 3/4 2 die ersten Fotos, grünes herrliches Wasser, die schaukelnden Segelboote, dahinter die quirlige Stadt.
Doch Montreux setzt allem noch die Krone auf. Als ich mich irgendwie auf der verkehrsreichen Straße dort hinüber gequält habe erschreckt mich dieser Luxus, diese Verschwendung, Pracht, Pomp, Glanz und Glimmer fürchterlich. Eigentlich wollte ich hier unter den Palmen an der so südlich erscheinenden Seepromenade eine ausreichende Pause machen, aber ich finde dieses Gewühl leider so abschreckend, dass ich mich nach einigen Fotos schnell aus dieser chaotischen engen Stadt heraus bewege. Warum steht eigentlich ein Freddy-Mercury-Denkmal in Montreux?
Weiter, vorbei an Chateau Chillon, dem wohl bekanntesten (lt. Baedecker) Schweizer Schloss, schön anzusehen im Wasser auf einer kleinen Insel stehend, aber diese Touristenmassen überall. Nichts wie weg hier. Und schon wenige Kilometer weiter, als ich mich am Beginn des Rhonetals befinde, ändert sich die Welt schlagartig, es wird ruhig, ländlich, sehr heiß allerdings, aber ein mäßiger talaufwärts wehender Wind, treibt mich auch hier sehr rasch vorwärts.
Ehe ich die Radroute Nr. 1 Rhone-Route finde, durchquere ich einige stille Dörfer, aber die Hitze lässt mich nur einmal an einem Brunnen kurz halten. Ich trinke heute immens viel, jetzt sind das schon fast 5 Liter, aber es ist nicht genug. Erst als ich dann auf dem Rhonedamm fahre, wird es im Schutze der Bäume schattig und angenehmer. Im Süden die Spitzen der Dents du Midi, das Wallis ruft. Der Radweg streift, ständig nah am mächtig strömenden Fluss entlang führend, kaum Ortschaften. Monthey lasse ich seitlich liegen, hier befindet sich chemische Industrie. Dann endlich St. Maurice. Es ist hoffentlich nur noch ein Katzensprung zum Camp Foret des Bois Noire.
St. Maurice ist ein schöner Ort, er befindet sich an der engsten Stelle des Rhonetals, direkt unter einer riesigen Felswand. Und dann sehe ich das Camp-Schild. Doch der Platz macht einen verwahrlosten Eindruck, die Klos sehen heruntergekommen aus, eine Rezeption finde ich nicht. Das soll es ja nun auch nicht sein nach dieser Tour heute.
Aber es ist nun schon nach 16 Uhr, ich muss langsam ein Camp finden, um mich noch ausreichend für morgen regenerieren zu können. Also weiter, Evionnaz, wieder ein Camp-Schild, aber dazu müsste ich jetzt bergauf fahren, das will ich nach 150 Kilometern auch nicht mehr. Weiter...
Bei Martigny ist ein Camp auf der Karte eingezeichnet, Martigny ist ein größerer Ort, da muss es doch auch einen geben. Aber das sind noch einmal 15 Kilometer. Langsam spüre ich, wie ich die üblichen Dehydrierungserscheinungen bekomme, wie auf früheren Touren. Die Stimme bleibt weg, wird heiser, das rechte Ohr ist zu.
Martigny, ich nehme den kürzesten Weg in die Innenstadt, die mich jetzt allerdings nicht mehr interessiert. Dafür umso mehr die Informationstafel. Und auf der ist ganz in der Nähe ein Campingplatzsymbol!
Und diesen Platz finde ich doch nun wirklich schon nach 10 Minuten! Das war es heute!
Ich bin recht fertig, es war eine weite Strecke, weiter, als ich ursprünglich wollte, aber dann wird es morgen halt weniger. Die Anmeldung auf französisch, wobei ich nicht sehr gut aussehe, dann englisch und deutsch. Und dazu eine große Flasche Grapefruit-Limonade und zwei Büchsen Bier. Dann Aufbauen, Duschen, Trikot und Hose waschen und endlich nach 18 Uhr ist Ruhe...
Das Camp ist angenehm sauber und die Abendstunden werden nun wenigstens noch sehr erholsam.
Abendessen: Scheibenbrot, Salami und Käse ;-) Und das Bier verdampft schon beim Trinken.
Dazu die tägliche SMS nach Hause.
 Ringsum hohe Quellwolken an den Bergen, aber es ist ein stabiles Hochdruckgebiet angesagt. Kein Grund zur Sorge.
166,78 km, Schnitt: 20,50 km/h, Fahrtzeit: 8:07:59 Std., Maximum: 50 km/h, Höhenmeter: 1330